Vertrauen ist ein Schmierstoff für soziale Kooperation. Kooperationen einzugehen bedeutet Risiken einzugehen. Weil das Risiko, dass der Kooperationspartner sich nicht an die Vereinbarungen hält, nicht vollends ausgeschlossen werden kann, ist Vertrauen nötig, damit es dennoch zu einer Kooperation kommt. Das gilt in der Wirtschaft genauso wie für die Beziehungen zwischen Bürgern und Regierung und auch für das Verhältnis von Bürgern und Medien. Das Edelman Trust Barometer 2018 zeigt, wie viel Vertrauen die Bürger in diese Institutionen haben. Ich konzentriere mich an dieser Stelle auf das Feld der Politik und skizziere, was die Forschung über die Ursachen von Vertrauen und Vertrauensverlust weiß und komme zum Schluss auf Unternehmen und Medien zurück.

1. Bürger erwarten von der Regierung, dass diese für Sicherheit sorgt und die Rahmenbedingungen für Wohlstand eines Jeden setzt. Diese Rahmenbedingungen sind aufgrund von Globalisierungsprozessen für die Bürger in Deutschland in den letzten 30 Jahren aber schwieriger geworden. Wir konnten eine Zunahme von Ungleichheit beobachten, die darauf zurückgeht, dass Personen mit hohen beruflichen Qualifikationen höhere Zugewinne auf dem Arbeitsmarkt erzielen konnten als gering qualifizierte. Allein die anhaltend hohe Umverteilung durch den Wohlfahrtsstaat hat dafür gesorgt, dass die Schere der verfügbaren Einkommen nicht weit aufgegangen ist. Hinzu kamen neue Unsicherheiten infolge von befristeten Verträgen, Zeitarbeit und Minijobs. Auf der anderen Seite zeigt die Forschung aber ein seit 2010 anhaltendes Wirtschaftswachstum, eine stetig sinkende Arbeitslosigkeit und einen sehr geringen Grad an Abstiegsangst nach Jahren des Anstiegs. Was bedeutet dies für das Vertrauen in die Regierung?

2. Ich bin oft gefragt worden, ob diese Unsicherheiten nicht die Ursache für das Aufkommen der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland sind. Denn die AfD-Wahlerfolge, so eine gängige Vermutung, gehen auf den Verlust des Vertrauens in die Regierung zurück, die Bürger vor wirtschaftlichen Unsicherheiten zu schützen. Analysen von Kollegen wie unsere eigenen Studien zeigen weitgehend durchgängig: Wirtschaftliche Gründe waren nicht ausschlaggebend. Vielmehr entscheidend ist ein anderer Faktor. Ein Teil der Bürger ist mit der grundsätzlichen kulturellen und politischen Entwicklung der deutschen Gesellschaft nicht einverstanden. Multikulturalismus, Anerkennung von Diversität, etwa gleichgeschlechtliche Lebensformen, Ehe für alle, Abschaffung der Wehrpflicht, Ausstieg aus der Atomenergie und die Abgabe von Teilen der nationalen Souveränität an die Europäische Union sind Teil einer Entwicklung der deutschen Gesellschaft der letzten zehn Jahre, die diese Bürger nicht befürworten. Insbesondere die ungesteuerte Aufnahme von Flüchtlingen im Herbst 2015 hat das Vertrauen dieser - aber eben nicht aller - Menschen in die Regierung in Deutschland untergraben.

3. Was sind die strukturellen Ursachen des Vertrauensverlustes? Zum einen muss man in Rechnung stellen, dass der Glaube an die Legitimität von Autoritäten in der deutschen Gesellschaft seit den 1970er Jahren in Westdeutschland und nach 1991 auch im gesamten Land abgenommen hat. Die langfristig wirkenden Ursachen dafür waren der Anstieg des allgemeinen Bildungsniveaus, der Wertewandel und die Expansion der konventionellen und der neuen Medien und damit der Bereitstellung von unterschiedlichen Interpretationsrahmen des gesellschaftlichen Geschehens. Diese Prozesse, so die Diagnose, führten zu einer Steigerung der Kritikfähigkeit gegenüber der Politik und der Ansprüche der Bürger an die Steuerungsfähigkeit des Staates. Parallel dazu hat genau diese Steuerungsfähigkeit abgenommen: Gesellschaftliche und wirtschaftliche Prozesse sind komplexer geworden und damit weniger durch einfache politische Entscheidungen zielgerichtet steuerbar - man denke etwa an die europäische Integration, die erfordert, dass Teile der vormals nationalen Politik nun mit den europäischen Partnern abgestimmt werden müssen. Man denke auch an jüngste Entscheidungen von Gemeindeverwaltungen, Zweitfrauen als Familienangehörige von Asylbewerbern ins Land zu lassen oder von Gerichten, wonach Asylbewerber, die straffällig geworden sind, aufgrund des Fehlens von Nachweisen ihrer nationalen Herkunft nicht abschieben zu können. Diese Entscheidungen stehen in völliger Übereinstimmung mit unserem Rechtssystem und unserer demokratischen Verfassung, sind aber für manche Bürger nicht nachvollziehbar und lösen Widerspruch aus. Dies bedeutet zusammengenommen: Politik und staatliches Handeln enttäuscht Erwartungen der Bürger und dies möglicherweise dauerhaft. Dies ist, so vermuten wir, eine der Ursachen, warum sich in vielen Ländern Europas populistische Parteien etabliert haben - ein endgültiger Nachweis der Forschung steht aber noch aus.

4. Kann man dennoch Vertrauen zurückgewinnen? Ich denke schon. Man muss versuchen, die moralischen Erwartungen der Bürger an eine vertrauensvolle Person zu verstehen und diese Erwartungen auf die Beziehung zwischen Institutionen und Bürgern übertragen. Ich erläutere dies an zwei Beispielen: Unternehmen sollten versuchen, Kundenbeziehungen transparent und offen zu gestalten. Dazu gehört auch, auf Manöver der Täuschung (etwa versteckte Klauseln, intransparente Rabattaktionen) zu verzichten - der Einbruch des Vertrauens der Deutschen in die Automobilindustrie nach dem Dieselgate, den das Edelman Trust Barometer 2018 aufgezeigt hat, belegt dies hinreichend. Journalisten sollten ihre eigene Haltung zum Gegenstand des Berichts reflektieren: Lassen sie Aussagen oder Fakten weg, weil sie nicht mit den eigenen Werten übereinstimmen? Lassen sie nur Personen in Interviews sprechen, die die eigene politische Haltung ausdrücken? Diese Prüfung ist ein zentrales Element der Professionalität des Qualitätsjournalismus und wird von der überwiegenden Zahl der Journalisten auch beachtet, gelegentlich aber auch von einigen (aus moralischen Erwägungen) außer Kraft gesetzt, etwa in der Berichterstattung während der Flüchtlingskrise oder über die Silvesternacht von Köln 2015. Hier besteht eine Chance, auch Menschen zurückzugewinnen, die das Vertrauen in die Medien des Qualitätsjournalismus verloren haben.