Während Europa mit der ersten Welle der Pandemie und einer drohenden Wirtschaftskrise ringt, übernimmt Deutschland, der größte und einflussreichste Mitgliedstaat der EU, den Vorsitz im Rat der Europäischen Union. Mit dem Auftrag, die Agenda und politische Richtung der wichtigsten EU-Institutionen für die kommenden sechs Monate zu gestalten, folgt die deutsche Präsidentschaft einem klaren Motto: "Gemeinsam für den Aufschwung Europas". 

Während die Europäische Union zu Beginn der Krise zögerlich reagierte, ist der Europäischen Kommission, dem Europäischen Rat und vor allem den Staats- und Regierungschefs in Berlin und Paris nun mehr als deutlich geworden, dass die Corona-Pandemie zweifellos die größte Herausforderung ist, vor der die Region seit ihrer Gründung steht. Daraus folgte die allgemeine Erkenntnis, dass diese Herausforderung nur solidarisch, mit gemeinsamen Anstrengungen auf EU-Ebene und mit wirtschaftlichen Maßnahmen von bislang beispiellosem Ausmaß bewältigt werden kann.

Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass die oberste Priorität der deutschen EU-Ratspräsidentschaft der Wiederaufbau der europäischen Wirtschaft ist. Dabei muss die Pandemie unter Kontrolle gebracht, ihre sowohl wirtschaftlich als auch sozialen Folgen eingedämmt werden. Deutschland wird die Möglichkeit haben, den Verlauf der Gespräche über den Vorschlag der Europäischen Kommission zum Europäischen Aufbauplan, dem Wiederaufbauprogramm „Next Generation EU“ und dem Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) zu lenken, wobei der MFR bei Zustimmung insgesamt 1,85 Billionen Euro zur Unterstützung des wirtschaftlichen Wiederaufbau Europas beitragen wird. Berlin hat deutliche Zustimmung für ein solch umfassendes Konjunkturprogramm signalisiert. Es wird erwartet, dass die Bundesregierung die ersten Monate der EU-Ratspräsidentschaft nutzen wird, um einen Konsens zwischen den 27 EU-Mitgliedstaaten für eine Verabschiedung noch vor Ende des Jahres zu erreichen, sodass die Mittel ab dem 01. Januar 2021 bereitgestellt werden können.

Eine Verabschiedung des Konjunkturprogramms bis Ende des Jahres wäre ein wichtiger Meilenstein für die deutsche Ratspräsidentschaft. Allerdings wird Deutschland noch weitere Möglichkeiten haben, die eigene Führungsrolle unter Beweis zu stellen und den zukünftigen Kurs der Europäische Union zu prägen –mit einer "Europe First"-Strategie. Hinter dem ehrgeizigen Green Deal der Union und der Datenstrategie steckt ein gewisser Idealismus, der dem Kontinent seit vielen Jahren fehlte. Mit der Fortführung des European Green Deal strebt Deutschland während der Ratspräsidentschaft eine Einigung über die Anhebung des EU-Klimaziels bis 2030 und einen Beschluss zur Klimaneutralität bis 2050 im Rahmen eines EU-Klimagesetzes an. Mit der Europäischen Datenstrategie liegt der Fokus auf der digitalen Souveränität der EU durch Stärkung der digitalen Infrastruktur und Technologiekompetenz der Region. 

Die Fortführung dieser beiden ambitionierten Projekte wird trotz der neuen Herausforderungen im Zuge der Corona-Pandemie ein zentrales Anliegen der deutschen Ratspräsidentschaft sein – insbesondere mit Hinblick auf die Ankunft des geopolitischen Zeitalters. Die aktive Verbreitung von Falschinformationen, Chinas Umgang mit Menschenrechten, der Handel mit den Vereinigten Staaten, Russlands militärische Expansionsbestrebungen und das komplexe Verhältnis zur Türkei – in all diesen Feldern offenbart sich ein dringender Diskussions- und Handlungsbedarf. Die Kommissionspräsidentin hatte eine stärker "geopolitisch" orientierte Kommission versprochen. Bisher sind die Herausforderungen jedoch eher gewachsen, als dass es eine klare Strategie zu deren Bewältigung gäbe. Alle Augen werden daher zu Recht auf Berlin gerichtet sein, wenn es darum geht, ein aufgebrachtes Europa zu vereinen, um die Herausforderungen der Union als auch der EU-Nachbarschaftsländer zu bewältigen. Denn die Sicherstellung der wirtschaftlichen Stabilität Europas ist nur der erste Schritt, die Umsetzung einer klaren strategischen Vision wird zweifellos der zweite sein.

Ein weiterer Schwerpunkt der deutschen Ratspräsidentschaft wird der Umgang mit dem für Ende dieses Jahres terminierten „No-Deal-Bluff“ des britischen Premierministers Boris Johnson. Seit dem Austritt des Vereinigtes Königreichs aus der EU am 31. Januar 2020 wurden in den Verhandlungen kaum Fortschritte erzielt. Da das Vereinigte Königreich die Verhandlungen im Oktober abschließen will, wird die deutsche Präsidentschaft in der Verantwortung stehen, die Positionen der Mitgliedstaaten auf einen möglichen Kompromiss auszurichten. Dies wird eine herausfordernde Zeit für die Europäische Union – Deutschlands Führungsrolle wird daher europaweit begrüßt.

„Die deutsche Regierung weiß, dass die Corona-Krise die größte Herausforderung seit der Gründung der Europäischen Union darstellt und dass diese Herausforderung nur durch gemeinsame Anstrengungen auf EU-Ebene und ein beispielloses Maßnahmenpaket bewältigt werden kann.“


- Gurpreet Brar, COO Edelman Global Public Affairs und General Manager bei Edelman Brüssel

Die deutsche Ratspräsidentschaft kann jedoch nicht vollständig ohne Berücksichtigung der innenpolitischen Gegebenheiten in Deutschland verstanden werden. Deutschland übernimmt die Präsidentschaft unter der Leitidee von Bundeskanzlerin Merkel „Deutschland geht es nur gut, wenn es Europa gut geht“. Vor wenigen Jahren nur als bloßes Lippenbekenntnis gewertet, erhält die Aussage in Zeiten wie diesen ein neues Gewicht.  Während Deutschland Investitionen in der EU gegenüber reserviert war und sich um den Erhalt des Status quo bemühte, lässt die aktuelle Krise lässt Deutschland keine Option. Da Berlin vor der größten Rezession seit der Nachkriegsgeschichte steht, verabschiedet sich die Regierung mit dem 130 Mrd. Euro umfassenden Konjunkturpaket selbst von der „Schwarzen Null“ und fördert maßgebend private und öffentliche Investitionen.

Die Zwangsläufigkeit dieses neuen Paradigmas hat sich bereits seit längerem herauskristallisiert. Der großen Koalition aus CDU und SPD unter Merkels Führung wurde längst mangelnde Zukunftsvision bescheinigt. Selbst führende deutsche Ökonomen und Wirtschaftsvertreter stellten die Finanzpolitik der Regierung zunehmend offen in Frage. Die Enttäuschung unter den Wählern über die Regierungsparteien wuchs, Bundeskanzlerin Merkels Zustimmungsraten sanken deutlich. Das Pandemie- und Krisenmanagement der Bundeskanzlerin und ihr konstruktiver Umgang mit dem europäischen Projekt führten jedoch in den letzten Monaten zu einem deutlichen Wiederanstieg ihrer Zustimmungswerte: Die Union näherte sich in Umfragen auf 40 Prozentpunkte. Dieses enorme politische Kapital wird Kanzlerin Merkel sich zu eigen machen, um ein bleibendes Erbe zu hinterlassen, wenn sie auf eine Kandidatur bei der Bundestagswahl im kommenden Jahr verzichtet.

"Die deutsche Ratspräsidentschaft hatte ihren ersten historischen Moment bereits vor ihrem eigentlichen Beginn. Der deutsch-französische Vorschlag im Mai, einen Wiederaufbaufond für Solidarität und Wachstum zu schaffen, der dann von der Europäischen Kommission ausgebaut wurde, legte den Grundstein für die deutschen Präsidentschaft.

Nicht nur für den kurzfristigen Aufschwung Europas - sondern für Europas Zukunft". 


- Bärbel Hestert-Vecoli, Managing Director Corporate Reputation bei Edelman Germany

Während Europa versucht, sich von der Covid-19-Krise zu erholen, haben die kommenden sechs Monate das Potenzial, das politische und regulatorische Umfeld für Europas Wirtschaft erheblich zu verändern. Die deutsche Ratspräsidentschaft wird einer der wichtigsten Motoren sein, der diesen Wandel auf der Achse Brüssel-Berlin lenken und vorantreiben wird. Wenn Sie sich dafür interessieren, wie sich die Prioritäten der deutschen Ratspräsidentschaft auf Ihre Organisation auswirken können, dann kontaktieren Sie uns. Mit unseren Büros in Brüssel und Berlin verfügen wir über ein umfassendes Angebot an Dienstleistungen, um Sie angesichts eines sich dynamisch entwickelnden regulatorischen und politischen Umfelds bestmöglich zu begleiten und sicherzustellen, dass Sie in diesen Zeiten effektiv kommunizieren. Besuchen Sie auch weiterhin unsere Kanäle, auf denen wir auch in den kommenden Tagen themenbezogene Analysen präsentieren werden, die die Prioritäten der deutschen Ratspräsidentschaft in einer Reihe von Schlüsselbranchen skizzieren.

Gurpreet Brar, COO Edelman Global Public Affairs und General Manager bei Edelman Brüssel.

Bärbel Hestert-Vecoli, Managing Director Corporate Reputation bei Edelman Germany.

 

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