Die 16-jährige Amtszeit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel geht nach der Bundestagswahl am 26. September zu Ende. Der Beitrag bewertet, wie eine neue deutsche Regierung die Klima- und Umweltpolitik der EU gestalten könnte, indem die Positionen der führenden Parteien untersucht werden.

Mit dem Rückzug von Bundeskanzlerin Angela Merkel steht in Deutschland die wichtigste Wahl seit Jahrzehnten an. Es sind Veränderungen zu erwarten. Ohne Merkels starke persönliche Marke im Rücken kämpft die regierende konservative CDU/CSU (Union) mit dem wenig beliebten Armin Laschet an der Spitze um Wählerstimmen. Der Rückzug Merkels hat ein politisches Vakuum hinterlassen, in das zwei weitere Hauptanwärter eintreten wollen. Zum einen bewirbt sich der derzeitige Koalitionspartner der Union, die Sozialdemokraten (SPD), mit Olaf Scholz als Kandidat der Kontinuität. Zum anderen die Grünen, die mit Annalena Baerbock und einer Vision für Veränderungen antreten. Da die Grünen wahrscheinlich eine tragende Säule einer neuen Koalition sein werden und die Union schwächer werden wird, wird das Thema Klima eine herausragendere Rolle spielen und sich positiv auf Deutschlands Weg zur Treibhausgasneutralität auswirken, die derzeit für 2045 angestrebt wird. 


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Die derzeitige Regierungskoalition aus CDU/CSU und SPD wollen Treibhausgasneutralität bis 2045 erreichen, während die Grünen und die Linkspartei einen früheren Ausstieg anstreben. Die wirtschaftsnahen Liberalen (FDP), die eher marktwirtschaftliche Lösungen bevorzugen, haben dagegen vorgeschlagen, das Datum auf etwa 2050 zu verschieben.

Allerdings wird jede neue Regierung auf eine Reihe von klimapolitischen Instrumenten setzen müssen, wenn sie Treibhausgasneutralität erreichen will - auch in Bezug auf die Bepreisung von CO2. In diesem Sinne unterstützen CDU/CSU, SPD und Grüne das Programm der Carbon Contracts for Difference (CCFD), das Emissionsreduktionen über dem aktuellen Preisniveau des EU-Emissionshandelssystems (ETS) belohnt. Auch hier sprechen sich die marktorientierten Liberalen dagegen aus.

Zwar proklamieren die Parteien ehrgeizige Klimaprogramme, aber Deutschlands aktuelle Klimaziele werden wahrscheinlich bestehen bleiben, zumal das Land seine Ziele für 2030 voraussichtlich verfehlen wird. Obwohl eine Regierung aus SPD, Grünen und Linkspartei das Potenzial hat, die deutsche Klimapolitik zu verändern, ist es wahrscheinlicher, dass eine moderierte Koalition aus CDU/CSU und/oder FDP eine wirtschaftsfreundliche Perspektive beibehält.  
 

Die großen Parteien in Deutschland sind prinzipiell einer Meinung, aber die Frage der Kosten der Klimapolitik wird sich auf nationaler und EU-Ebene verschärfen

Deutschland gilt derzeit als Nachzügler, wenn es um das Erreichen der Klimaziele geht. Daher könnte eine Regierung mit den Grünen dem Europäischen Green Deal Auftrieb verleihen. Dieser wurde 2019 mit großem Wirbel gestartet, geriet aber durch die COVID-19-Pandemie und die folgende Wirtschaftskrise ins Stocken. Eine neue Regierung könnte auch eine stärkere Verpflichtung auf EU-Ebene anvisieren, die Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55 % zu senken und dafür zu sorgen, dass sich das 2-Billionen-Euro-Konjunkturpaket der EU auf nachhaltige Investitionen konzentriert. Infolgedessen wird eine Reihe von bereits vorbereiteten, klimabezogenen Regulierungsinitiativen zusätzliche Unterstützung erhalten. 

Der viel gescholtene Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM), der Abgaben auf importierte Waren auf Grundlage ihres CO2-Fußabdrucks erhebt, wird wahrscheinlich von einer neuen deutschen Regierung unterstützt, da dieser Mechanismus parteiübergreifend überwiegend Unterstützung findet. Deutschland und die EU, insbesondere im Tandem mit Paris, werden dennoch auf internationaler Ebene Überzeugungsarbeit leisten müssen, um den Vorwurf des Protektionismus abzuwehren – eine Sorge, die von deutschen Industrievertretern und internationalen Handelsexperten wiederholt geäußert wurde. Eine neue Regierung könnte darüber hinaus versuchen, dass EU-Emissionshandelssystem an das Pariser Klimaabkommen anzupassen. Dies wurde ausdrücklich von CDU/CSU, Grüne, FDP und der Linkspartei vorgeschlagen und dürfte auch von der SPD unterstützt werden. Die FDP schlägt sogar eine grundlegende Reform vor, um den Emissionshandel auf andere Sektoren auszuweiten. Die FDP-Pläne für eine Ausweitung von Carbon Capture, Utilization & Storage (CCUS) stoßen hingegen nicht auf Zustimmung.

Die deutschen Parteien sind nach wie vor uneins über den Umfang des Emissionshandelssystems – trotz dessen Bedeutung für das Erreichen der EU-Klimaziele. Die Diskussion über den CO2-Preis ist ein Beispiel für den Widerwillen der Parteien, die unbequeme Frage zu beantworten, wer die finanzielle Last einer neuen Klimapolitik tragen soll. Ein sozialdemokratischer Bundeskanzler, der sich auf eine sozialere Gestaltung der Klimapolitik fokussieren dürfte, könnte im Einklang mit den Grünen die Industrie stärker in die Pflicht nehmen. Um die deutschen Klimaziele zu erreichen, muss eine neue Regierung außerdem Vertrauen bilden. Sie muss transparenter über die Folgen des CO2-Preises kommunizieren, z.B. mit Blick auf Bepreisung von Verkehr und Wärme, deren Folgen mit der Einführung der nationalen CO2-Bepreisung für die Bürger spürbarer geworden sind. Die Diskussion über die finanzielle Last wird sich wahrscheinlich auch auf EU-Ebene verstärken angesichts der Bedenken steigender Energiekosten einiger Mitgliedstaaten mit geringerem finanziellen Polster. Auf der anderen Seite werden Unternehmen ihren Stakeholdern gegenüber stärker kommunizieren müssen, welche konkreten Maßnahmen sie zur Dekarbonisierung ergreifen, und dabei auch die Kontinuität des operativen Geschäfts vermitteln.
 

Deutschland und die EU treten in eine neue politische Klimarealität ein; Unternehmen sollten ihr voraus sein

Die bevorstehende Bundestagswahl wird wahrscheinlich zu einer stärkeren politischen Fragmentierung führen. Es ist mit langwierigen Koalitionsverhandlungen zu rechnen. Das bedeutet, dass sich jene Gesetzesvorhaben monatelang verzögern könnten, die vom EU-Rat genehmigt werden müssen. Wenn sich die Koalitionsverhandlungen bis ins nächste Jahr hinziehen, dann wird das Problem durch die anstehenden Wahlen in Frankreich im April 2022 sogar noch verschärft. Sobald eine Koalition in Deutschland gebildet ist, ist mit einer Reihe von Maßnahmen zu rechnen. Sobald dann die neuen Regierungen in Deutschland und in Frankreich die Arbeit aufnehmen, werden die Europäer 2022 um die klimapolitischen Instrumente ringen. 

Für die klimapolitische Entscheidungsfindung in Deutschland entscheidend: Es braucht insbesondere einen Konsens zwischen dem Ministerium für Wirtschaft und Energie (industriefreundlich) und dem Umweltministerium, das sich für ehrgeizigere Klimavorschläge einsetzt. Das Zusammenspiel zwischen diesen beiden Ministerien ist besonders wichtig – vor allem wenn diese von unterschiedlichen Parteien besetzt werden. Gerade die Grünen plädieren für ein Klimaministerium mit Veto-Befugnis gegenüber anderen Ministerien, wenn deren Gesetzesentwürfe unvereinbar mit den Zielen des Pariser Klimaabkommens sind.
 

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