Ich bin in einer Familie aufgewachsen, in der es völlig außer Frage stand, dass meine Mutter arbeitet. Das war immer so, und das wurde auch überhaupt nicht diskutiert. Ich hatte also das beste Rollenvorbild, das man sich als emanzipierte Frau wünschen kann. Und doch bin ich mit so vielen Fragen in mein Berufsleben gestartet, die ich seitdem immer und immer wieder von vielen anderen Frauen gehört habe: Kann ich das? Darf ich das überhaupt? Bin ich gut genug? Und bin ich wirklich schon bereit für den nächsten Schritt? Darf ich eigentlich auch mal Nein sagen? - Machen sich Männer eigentlich auch so einen Kopf? Woher kommen all diese Fragen? Genetik? Gesellschaft? Doch anerzogen? Egal, viel wichtiger: Woher bekomme ich die passenden Antworten?!

Um es gleich vorwegzunehmen: Was mich am stärksten geprägt hat, waren die Menschen in meinem Umfeld, die mich gefördert und gleichzeitig gefordert haben - ganz egal ob Mann oder Frau. Menschen, die mir vertraut haben, dass ich neue Herausforderungen schon meistere, die hinter mir standen, wenn es mal nicht rund lief. Und die mich loslassen und pushen konnten, wenn der nächste Schritt anstand. Beruflich wie privat.

Mein erster Chef bei Kothes und Klewes hat mir sehr schnell sehr viel zugetraut. So durfte ich schon nach drei, vier Monaten vor dem Kommunikationsleiter eines großen Industriekonzerns in Dortmund präsentieren. Mein Chef bat mich, vor der Präsentation doch noch einmal die Toilette aufzusuchen. Was zu Beginn wie ein merkwürdiger Vorschlag klang, war letztendlich meine Rettung. Auf der Vorstandsetage des Unternehmens gab es damals noch keine Damentoiletten. Das war vor 30 Jahren. Was habe ich daraus gelernt? Dass es immer Dinge gibt, mit denen man nicht rechnet, weil man sie sich selbst einfach nicht vorstellen kann. Die Toilettenerfahrung hat die Grenzen meiner Vorstellungskraft auf jeden Fall um einiges erweitert!

Mitte / Ende der 90er Jahre, ein anderes Unternehmen, ein anderer Chef, der mich immer gefördert und gefordert hat. Beim Thema Jobs im Ausland wurde ich jedoch nie in Betracht gezogen. Ich war sehr verwundert und wartete und wartete, irgendwann müsste doch auch hier mal meine Chance kommen! Letztendlich fasste ich mir ein Herz und sprach ihn an. Es stellte sich heraus, dass er nicht mal auf die Idee gekommen wäre, mir einen Auslandsposten anzubieten, schließlich hätte ich doch gerade geheiratet und wolle sicherlich nicht von meinem frisch angetrauten Mann getrennt sein. Mein Chef hatte ein ganz anderes Bild von meinen Wünschen im Kopf als ich. Da habe ich gelernt, dass es viel um die Grenzen auch in den Köpfen anderer geht. Um Bilder, die man von sich selbst und von anderen hat, wie das Leben und Arbeiten so sein sollte. Und ich habe übrigens auch gelernt, dass man immer klar sagen muss, was man möchte.

Und mehr noch, man muss nicht nur klar kommunizieren, hin und wieder muss man sich auch zur Wehr setzen. Es ist in meiner Laufbahn des Öfteren passiert, dass ich die einzige oder nur eine von sehr wenigen Frauen im Team war. Einmal muss ich dabei einer Assistentin ein durchaus schmerzhafter Dorn im Auge gewesen sein. Ganz subtil und durchaus systematisch degradierte mich die Dame, wo sie nur konnte. So vertauschte sie unter anderem mit schöner Regelmäßigkeit meinen Titel zu Eventanmeldungen. Diese Geschichte hat mich immer wieder beschäftigt und mir viele schlaflose Nächte beschert. Madeleine Albright hat es auf den Punkt gebracht: There is a special place in hell for women who do not help other women. Klar, nur weil zwei Frauen gemeinsam in einer Männerdomäne arbeiten, bedeutet das nicht, dass sie die besten Freundinnen werden müssen - aber man darf sich auf keinen Fall gegenseitig demontieren. Das gilt übrigens ganz selbstverständlich auch über Geschlechtergrenzen hinweg. Was habe ich also daraus gelernt: Das Arbeitsleben ist nicht immer fair. Das war es nie und das wird es niemals sein. Als das dann einmal klar war, hatte ich plötzlich einen ganz anderen Spielraum.

Apropos Geschlechtergrenzen: Immer noch 90er Jahre, große Industriekonferenz mit Damenprogramm (ja, damals hieß das Begleitprogramm tatsächlich noch Damenprogramm) - und mein Mann mittendrin. Allein mit 60 Damen. Das war gelinde gesagt keine einfache und eine durchaus bizarre Situation für ihn. Er hat sie erhobenen Hauptes gemeistert und das Damenprogramm durchgezogen. Übrigens behauptet er bis heute, dass er tatsächlich auch etwas Spaß dabei hatte. Wir dürfen also nicht vergessen: Auch unsere Partner meistern gemeinsam mit uns neue, herausfordernde, und vielleicht auch für sie ungewöhnliche Momente.

Auch eine hochspannende Frage: Muss man eigentlich immer von allen gemocht werden? Antwort: Nein, muss man nicht. Ja, das erfordert Übung. Und da hatte ich einen großartigen Lehrer: Damals ein Enfant Terrible im Personalwesen, immer entgegen aller Konventionen, unglaublich stark für sich selbst einstehend - und dabei extrem empathisch. Als es mal von allen Seiten donnerte und ich nicht mehr weiter wusste, sagte er seelenruhig: Wenn ich mir auch nur einmal in meinem Leben Gedanken gemacht hätte über die Leute, die mich nicht mögen und meinen, ich könnte nichts, ich wäre nichts, dann wäre ich nie in den Vorstand gekommen. Es kann Dir doch völlig egal sein, was andere von Dir denken. Streif es ab.

Auch ein dankbares Thema: Kinder. Ich bin ja eine Spätgebärende. Also habe ich mir lange und gründlich überlegt, wie ich meine Schwangerschaft strategisch klug meinem damaligen Chef kommunizieren könnte. Immerhin wollte ich meinen Job behalten und weiter Karriere machen. Die Diskussion ging schnell. Mein Chef, ein Katalane, sagte: Cool, ich freu mich für Dich, wann kommst Du wieder? Er hatte mit nur einem Satz aus einem für mich vermeintlichen Riesen-Issue ein absolutes Non-Issue gemacht. Herrlich, diese ganzen ellenlangen Überlegungen hätte ich mir sparen können!

Heute ist mein Sohn 10 Jahre alt. Was rate ich ihm und all den anderen Männern und Frauen?

  1. Sei Dir Deiner Grenzen im Kopf bewusst.
  2. Versuche so oft wie möglich, sie aufzubrechen.
  3. Sei Dir immer bewusst, dass auch andere Menschen Grenzen im Kopf haben - und räume im Einzelfall damit auf, wenn es wichtig für Deinen Weg ist.
  4. Suche Dir ein Umfeld, dass Dich wachsen lässt.
  5. Kommuniziere immer klar, was Du willst.
  6. Setze Dich zur Wehr, wenn es sein muss.
  7. Schätze Dich selbst, auch wenn es mal nicht richtig rund läuft - Deine Arbeit definiert Dich nicht als Person.
  8. Lerne, Dich nicht persönlich angreifen zu lassen.

Und noch eines zum Schluss: Egal, ob mit oder ohne Vorstandstoiletten, Damenprogramm oder katalanische Chefs. Das Arbeitsleben ist nicht immer fair. Get over it and move on. Und wenn man das weiß, dann kann man das Leben ganz wunderbar für sich selbst gestalten!